Bäumchen wechsle dich

Jobwechsel und Jobeinstieg sind selbst in normaleren Zeiten keine einfachen Unterfangen. Umso schwieriger gestalten sie sich in der Krise. Nach Wochen des Abwartens trauen sich Bewerber*innen langsam wieder auf den Markt. Doch der große Umbruch kommt erst noch.

Ein Beitrag für die Südtiroler Wirtschaftszeitung SWZ vom 5. Juni 2020.

Dieser Artikel ist im Original in der Südtiroler Wirtschaftszeitung SWZ vom 5. Juni 2020 erschienen und steht hier zum Download bereit.

Die Arbeitnehmer-Aussichten auf Südtirols Wirtschaft sind zuletzt auf einen historischen Tiefststand gefallen. Im Barometer des Arbeitsförderungsinstituts Afi für das Frühjahr 2020 war der Blick von Südtirols Arbeitnehmer*innen auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes dementsprechend getrübt. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz war allerdings kein großes Thema – noch. „Viele unterschätzen die Situation“, findet Hannes Mair, Geschäftsführer der Personalvermittlungsagentur look4U. Nach Aufhebung des Entlassungsstopps, geplant für August, sei mit einer Welle von Entlassungen zu rechnen. Schon jetzt sichtbar ist hingegen, dass viele Firmen mit Neueinstellungen vorsichtig sind, wie unter anderem die Zahlen von Südtirolerjobs.it zeigen, nach eigenen Angaben Südtirols Online-Jobportal mit der größten Reichweite.


Weniger Stellenausschreibungen, weniger Bewerbungen


2.300 Stellen waren dort Anfang März kurz vor dem Lockdown inseriert gewesen. „Woche für Woche“, erklärt Fabian Platter, Leiter der Plattform, „ging die Zahl nach unten. Ende Mai sind wir bei rund 1.300 Ausschreibungen angelangt.“ Einen Rückgang habe es – wenig überraschend – vor allem bei Gastronomie- Inseraten gegeben: minus 60 Prozent seit Beginn des Lockdowns, so Platter. „Auch die Aussicht auf die Sommer- und Wintersaison ist bei unseren Kund*innen aus der Gastronomie nicht sehr optimistisch. Wir bekommen viele Rückmeldungen, dass Gastrobetriebe in nächster Zukunft keine Mitarbeiter*innen einstellen werden bzw. sehr vorsichtig mit der Mitarbeiterplanung sind.“ Doch nicht nur das Angebot ist auf dem Jobmarkt eingebrochen, sondern auch die Nachfrage. Ab März sind die Zugriffszahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ca. 30 Prozent eingebrochen. Bis etwa Mitte April blieben sie am Boden. „Und das obwohl die Leute zu Hause waren oder sogar ihren Job verloren haben“, stellt Platter fest. Die Anzahl der Bewerbungen ging in dieser Zeit gar um 70 Prozent zurück. „Wir hätten uns eigentlich erwartet, dass mehr Personen auf Arbeitssuche wären oder den Wunsch nach einem Jobwechsel hätten“, sagt Platter und fügt hinzu: „Wir vermuten, dass viele Personen Angst hatten, den Job zu ver
lieren und daher nicht aktiv auf Jobsuche gegangen sind oder die Personen durch die Krise gesehen haben, dass ihnen ihr Job sehr wichtig ist und sie froh sind, weiterhin arbeiten zu können.“

Human-Resource-Expertin Dorotea Mader sieht das ähnlich: „Jobwechsel sind gerade äußerst riskant. Es haben zwar viele Menschen darüber nachgedacht, ob ihre Arbeit wirklich zu ihnen passt, doch den Schritt auf den Markt haben während des Lockdowns wenige gewagt.“ Vor allem jene, die langfristig in einem sicheren Umfeld zu guten Bedingungen beschäftigt sind, hätten zum Abwarten tendiert. Mittlerweile hat sich die Zahl der Bewerbungen auf der Plattform Südtirolerjobs.it erholt. Ende Mai wurde sogar der höchste Stand des Jahres erreicht. Die Zahl der ausgeschriebenen Stellen bleibt indes niedrig. Was bedeutet diese Entwicklung für den Arbeitsmarkt?

Arbeitgeber*innen am Zug?

In den vergangenen Jahren entwickelte sich der Markt immer mehr zugunsten der Bewerber*innen, ein sogenannter Bewerber*innenmarkt war die Folge, Unternehmen mussten in Wettbewerb um die besten Talente treten. „Die Coronakrise könnte dazu beitragen, dass es hier eine Verschiebung gibt“, sagt Mair. Falls es so weit kommt, hoffe er darauf, dass gewisse Werte wieder an Bedeutung gewinnen. „Die Leute sind teils übermütig geworden, haben Verträge unterschrieben und kurzfristig wieder abgesagt, weil sie dachten, etwas noch Besseres gefunden zu haben. Viele wussten es bis heute nicht zu schätzen, wenn sie in einem sicheren Betrieb angestellt waren.“ Dagegen spricht, dass in jenen Branchen, die nicht bzw. nur in geringem Ausmaß von den Einschränkungen und Folgen des Lockdown betroffen waren, weiterhin eingestellt und Stellen auch aufgestockt werden. Und: Hochqualifizierte Mitarbeiter*innen sind nach wie vor stark nachgefragt. Bei Südtirolerjobs.it geht man davon aus, dass sich Arbeitgeber*innen erhoffen, jetzt diese Stellen eher besetzen zu können. Ihre Erfolgschancen dürften allerdings nicht viel höher liegen als vor Corona. Zahlreiche Unternehmen, erklärt Mader, versuchen sich derzeit besonders gut aufzustellen, um sich als gute Arbeitgeber zu profilieren. Auf diese Weise möchten sie wertvolle Mitarbeiter*innen binden und sich für potenzielle neue Bewerber*innen attraktiv machen. Sollte es, wie vielfach angenommen, im Herbst oder Winter zu einem Anstieg der Entlassungen kommen, gehen sowohl Mader als auch Mair davon aus, dass hauptsächlich weniger qualifiziertes Personal davon betroffen sein wird. „Es werden zwar mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen, doch wird es sich dabei nicht um die Vielgesuchten handeln. Der Fachkräftemangel“, stellt Mader fest, „bleibt somit bestehen.“

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