Was ist Digital Leadership, Frau Mader?

Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Produktionsbetrieben: ein hochaktuelles wie komplexes Thema, das am 19.05.2022 auf einer Tagung im NOI aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Eine der Keynotes: die People & Culture Expertin Dorotea Mader.

Frau Mader, die Digitalisierung hat infolge der Pandemie auch in Südtirols Produktionsbetrieben noch einmal einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Kommen viele Führungskräfte da nicht mehr mit?

Wir müssen alle mitkommen, oder besser gesagt, dazu befähigt werden, mitzukommen und die Vorteile der Digitalisierung auch tatsächlich nutzen zu können. Genau dafür braucht es eine gute Leadership. Doch hier liegt gerade in mittelständischen Betrieben oft das Problem begraben.

Inwiefern?

Weil es dort oft noch Usus ist, die beste Fachkraft zur Führungskraft zu machen. Allerdings ohne ausreichend Augenmerk auf eine entsprechende Ausbildung zu legen. Leadership wird nicht von Gottes Gnaden verliehen, es bedarf Instrumenten und Techniken, die gelernt werden können und sollen. Passiert dies nicht, sind viele Führungskräfte überfordert, haben nicht die Instrumente parat, um beispielsweise gute Kritikgespräche zu führen oder mit Demotivation umzugehen. Die Folge? Die Führungskraft ist verunsichert und greift darauf zurück, wo sie sich sicher fühlt, also ihre fachlichen Qualifikationen. Das wiederum führt zu Micromanagment. In anderen Worten: Command & Control, ich gebe Anweisungen und kontrolliere.

Und das ist zu wenig?

Das ist viel zu wenig, um Menschen bei der Digitalisierung des eigenen Unternehmens mitzunehmen. Dafür sollte man ihnen einerseits Ängste nehmen, aber sie gleichzeitig auch motivieren und befähigen, damit umzugehen und ihr Potenzial auszuschöpfen. Der eigentliche Mehrwert der Digitalisierung liegt im Zugang zu unbegrenzten Informationen, doch das muss ich erst einmal erkennen, um ihn dann auch entsprechend nutzen zu können. Wir haben beispielsweise als HUMAN&HUMAN gemeinsam mit Automotive Excellence Südtirol ein 6-wöchiges Co-Learning und Innovationsprogramm entwickelt, um sogenannte Change Agents auszubilden. Also Menschen, die Innovation und Digitalisierung im eigenen Unternehmen voranbringen – und zwar auf allen Ebenen, von der Chefetage bis zur Montagehalle. Wir dürfen Digitalisierung nicht nur mit Soft- und Hardware gleichsetzen, es geht auch um die Veränderung von Systemen und unseren Umgang damit.

Und für diese Veränderung braucht es eine neue Führungskultur?

Und das nicht nur wegen der Digitalisierung. Wir sollten auch nicht vergessen, dass die nächste Generation am Arbeitsmarkt bei einer Führung im Stile von Command & Control nicht mehr mitgeht. Diese jungen Menschen wollen verstehen, warum etwas gemacht wird, wie es gemacht wird, und was sie davon haben – nicht nur geldmäßig, sondern beispielsweise auch für die persönliche Weiterentwicklung.

Inwiefern hat auch die rasante Zunahme von Remote Working die Ansprüche an Leadership verändert?

Das ist ein ganz wichtiger Beschleuniger dieses Umbruchs. Bis zum Ausbruch der Pandemie sind Themen der Unternehmenskultur und Leadership oft so nebenher mitgelaufen, auch unbewusst, ich hatte mein Team schließlich ständig vor mir. Doch wenn Menschen plötzlich zu Hause arbeiteten, entfällt dieses tägliche Miteinander. Umso wichtiger wird die gezielte Planung und Pflege des Austausches mit dem Team. Doch wenn ich in einem Mitarbeitergespräch auf Teams eine Stunde lang nur Ansagen mache, funktioniert das vielfach nicht mehr. Das sehen wir bei HUMAN&HUMAN auch an einem massiven Anstieg der Anfragen für Leadership-Trainings. Eine begrüßenswerte Entwicklung, denn sie zeigt, dass Führungskräfte zunehmend verstehen, wie erfolgsrelevant Leadership ist.

Und wie zeitaufwändig ist Leadership?

Idealerweise sollten Führungskräfte etwas 50 bis 60% ihrer Zeit in die Führung der Mitarbeitenden investieren. Dazu gehören Gespräche und der Austausch mit den Mitarbeitenden, Feedbacks, Coachings, gemeinsame Zieldefinition und Statusbesprechungen, die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden und vieles mehr. Es geht schließlich darum, Menschen zu befähigen, zu motivieren, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ich eine starke und leistungsfähige Organisation auf die Beine bekomme. Sozusagen die Straße freizuräumen, damit meine Beschäftigten gut arbeiten können. Das ist dieser fundamentale Unterschied zur Managerin oder zum Manager von gestern. Enablen, also Dinge möglich machen, statt zu verwalten, befähigen und motivieren statt befehlen und kontrollieren. Dieser Switch findet gerade statt und wer ihn nicht mitgeht, wird den Fachkräftemangel noch viel härter zu spüren bekommen.