So findet und haltet ihr uns

Die Lage auf Südtirols Arbeitsmarkt ist kompliziert – noch nie war es so schwierig Personal zu finden.

Wir zeigen, welche Anstrengungen heimische Betriebe unternehmen, um jetzt an gute Leute zu kommen. Ein Branchenreport

Es ist noch nicht so lange her, da ging auch im Paradies der Vollbeschäftigung kurz die Sorge um, dass die Arbeitslosigkeit dramatisch steigen könnte. Zwischen den Lockdowns fanden sich Menschen plötzlich im Lohnausgleich wieder oder mussten ganz ohne Einkommen auskommen - obwohl sie nie im Leben mit einer solchen Situation gerechnet hätten. Mehr als zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie ist der Spuk wieder vorbei. Mittlerweile hört man auf dem Südtiroler Arbeitsmarkt wieder die gute alte Leier vom Fachkräftemangel. Und sie tönt noch weit aggressiver als vor der Krise. Auf der eJob -Börse der Landesabteilung Arbeit, wo sich etwa ein Viertel der Südtirol weiten Arbeitsangebote findet, sind Stellengesuche zuletzt auf ein Allzeithoch geschossen. In den ersten vier Monaten dieses Jahres waren dort 5.700 Stellengesuche zu finden. „Wir haben in Südtirol nicht mit Arbeitslosigkeit, sondern mit Arbeiterlosigkeit zu kämpfen", sagt Barbara Jäger, geschäftsführende Gesellschafterin der Business Pool GmbH. ,“So schwierig war es noch nie'', konstatiert Esther Ausserhofer von der People and- Culture-Agentur Human&Human. Denn mittlerweile sind nicht nur hoch qualifizierte Mitarbeitende Mangelware. Auch die Suche nach einem Magazineur kann heute zur Herkulesaufgabe werden. Zu hören sind die Klagen über die steigende Personalnot quer über alle Branchen - von der boomenden Baubranche über den Tourismus bis hin zum Einzelhandel. Und auch Branchen wie Wirtschaftsberater suchen verzweifelt nach Fachkräften.

NEU IST:

Der „War for talents" hat sich zur gnadenlosen Schlacht zwischen Unternehmen entwickelt. Manche versuchen mit zum Teil unkonventionellen Mitteln offene Stellen zu besetzen. So wird immer wieder beobachtet, wie Personalrecruiter auf Raststätten, die bei Arbeitern besonders beliebt sind, auf Mitarbeitersuche gehen. Und gar einige Unternehmen versuchen Mitarbeitende von Konkurrenzbetrieben mit Gehaltsaufschlägen von bis zu 500 Euro netto für sich zu gewinnen. Die umstrittene Aktion des Südtiroler Sanitätsbetriebs, das eigene Personal mit einer Prämie zu belohnen, wenn es neue Mitarbeitende anwirbt, wirkt geradezu harmlos dagegen.

DIE SCHLECHTE NACHRICHT:

Dieser Spuk wird nicht von einem Tag auf den anderen vorbei sein. Die Angebotsknappheit wird erstmal Realität bleiben - auch aufgrund der Alterspyramide. Noch stellen die Babyboomer, die Jahrgänge 1946 bis 1964, fast 20% der gesamten Beschäftigten. Gehen diese geburtsstarken Jahrgänge nun aber Schritt für Schritt in Rente, wird es eng: Die Landesabteilung Arbeit geht von einem dramatischen Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter aus. Bis 2031 sollen es 14.000 weniger sein als noch im Jahr 2018. Bei einem Beschäftigungszuwachs von jährlich 0,5 bzw. 1 Prozent rechnet man in neun Jahren mit einem Gap zwischen Angebot und Nachfrage im Ausmaß von 27.000 bis 46.000 Arbeitskräften. Trotz der düsteren Aussichten gibt es auch gute Nachrichten. Das Defizit an Arbeitskräften dürfte - zumindest in einigen Bereichen - teilweise von der fortschreitenden Digitalisierung ausgeglichen werden. Und: Südtirols Unternehmen sind bereit, dem Umbruch aktiv zu begegnen. Ob und wie ihnen da gelingen kann - Südtirol Panorama hat sich bei Expertinnen und Experten aus dem Bereich Personal umgehört.

REKRUTIERUNGSPROZESS: AUF AKTIVES SOURCING SETZEN

„Personalarbeit ist ein Knochenjob“, sagt Barbara Jäger von Business Pool. Der Rekrutierungsprozess gilt dabei nach wie vor als A und O. „Leider kommt es immer noch vor, dass Unternehmen nicht oder viel zu spät auf Bewerbungen reagieren. Eine Todsünde. Denn die damit verbundene Botschaft, „kein Interesse“ kann sich heute kein Betrieb mehr leisten«, sagt die Personalexpertin. Stattdessen rät sie: eine Datenbank für die Personalsuche aufbauen, in der auch Bewerberinnen und Bewerber aufgenommen werden, für die aktuell keine Stelle frei ist. „Es kommen ohnehin kaum noch Antworten auf Stellenanzeigen. Statt passiv zu warten, ob vielleicht doch was kommt, ist es doch besser aktives Sourcing zu betreiben«, sagt Jäger. Entscheidend sei außerdem: eine einfache Bedienung der Bewerbungsseite, die perfekte Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche und die Möglichkeit, sich direkt mit One-Click auf Stellenanzeigen zu bewerben.

UNTERNEHMENSKULTUR: HINSCHAUEN UND HINHÖREN

Die Mundwerbung ist, auf einem so übersichtlichen Markt wie Südtirol, nach wie vor das erfolgreichste Recruiting-Rezept. Darüber sind sich Experten wie Personalverantwortliche einig. Wenn da eigene Team positiv über sein Unternehmen spricht, braucht es keine großen Anstrengungen im Personalmarketing.

Und es steigt die Chance, gute Leute länger an das Unternehmen zu binden. „Dafür braucht es ein gutes Arbeitsklima, Partizipation, Vertrauen und viel menschliche Zuwendung", sagt Esther Ausserhofer von Human&Humam. „Wir Südtiroler sind wahnsinnig fleißige Menschen. Doch vor lauter Leisten und Machen wird oft eine wesentlich Führungsaufgabe vergessen: Hinschauen, hinhören und fragen: Wie geht es dir, wie können wir das gemeinsam machen, welche Inputs hast Du?", ergänzt Ausserhofer. Ohne diesen Kulturwandel seien vor allem junge Menschen nicht mehr zu halten.

Denn für sie stehen die Unternehmenskultur, die Selbstverwirklichung und der Spaß an der Arbeit ganz oben in der Prioritätenliste – meist noch vor dem Gehalt. „Die Generation Z ist keineswegs so leistungsunwillig, wie oft behauptet wird", sagt Ausserhofer. “Doch sie wollen ernst genommen werden, mitbestimmen und verstehen, warum sie etwas machen sollen."

ENTLOHNUNG: AUFHOLBEDARF

Das Gehalt mag bei jüngeren Semestern in der Priorität nicht mehr ganz oben stehen. Dennoch hat der Wirtschaftsstandort Südtirol in Sachen Entlohnung eine offene Flanke. Das belegte erst das AFI-Barometer vom Frühjahr 2022: Nur 45 Prozent der Südtiroler Beschäftigten zeigten sich demnach mit ihrem Gehalt zufrieden. „Das hat nicht nur mit den aktuellen Preisexplosionen bei Energie und anderen Kosten zu tun", versichert Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts Afi. „Südtirols Arbeitgeber meiden Lohnerhöhungen wie der Teufel das Weihwasser. Es scheint einfach nie die richtige Zeit für Lohnerhöhungen zu sein", sagt der AFJ -Direktor. Dazu komme, dass man sich beim Lohnniveau zu sehr am gesamtstaatlichen Niveau orientiere. Viel eher sollte man über regionale oder betriebliche Zusatzabkommen einen autonomen Weg gehen. Laut Perini liegen die Löhne in Südtirol nur 7 Prozent über dem italienischen Durchschnitt, zugleich hat unsere Provinz um 20 Prozent höhere haltungskosten. Im Hinblick auf den Brain Drain und im mitteleuropäischen Wettbewerb um die besten Köpfe, hat Südtirol an dieser Front einen klaren Nachteil warnt der AFI-Direktor. „Denn bei Arbeitgebern im deutschsprachigen Ausland ist die Bereitschaft für faire Löhne wesentlich stärker ausgeprägt, als wir es hier in Südtirol beobachten."

KANDIDATENSUCHE: 50 IST NICHT ALT!

Viel Potenzial gibt es auch, wenn es Arbeitgebern gelingt, an ihrem Bild vom idealen Kandidaten zu arbeiten. Wer bei der Suche weiterhin auf „männlich, dynamisch, mit drei Jahren Berufserfahrung" setzt, fischt mit extrem viel Konkurrenz in einem Pool, dessen Bestand rückgängig ist. Warum ihn also nicht erweitern? Zum Beispiel um erfahrene Menschen über 50, die bislang häufig als „zu alt" ausgesondert wurden. Oder um hoch qualifizierte Mütter, die Südtirols Arbeitsmarkt immer noch viel zu oft abhandenkommen? „Menschen um die 50 sind keineswegs alt, haben viel Erfahrung, wissen viel genauer, was sie wollen, und bleiben dem Betrieb deshalb auch eher erhalten als junge Beschäftigte': sagt Barbara Jäger von Business Pool. Sie ortet in dieser unberechtigten Abwertung ein „Riesenthema" - erst recht vor dem Hintergrund der Bevölkerungspyramide und des steigenden Pensionsalters. Immerhin stellen Beschäftigte über 50 bereits jetzt ein gutes Drittel des Arbeitsmarktes, Tendenz steigend.

VEREINBARKEIT: FAMILIENVÄTER FÜR TEILZEIT GEWINNEN

Nach wie vor verliert Südtirols Arbeitsmarkt viele Frauen nach ihrer Familiengründung. „Damit geht unseren Unternehmen großes Potenzial verloren", meint Esther Ausserhofer von Human&Human. Mit einer entsprechenden Job - und Arbeitszeitgestaltung könnten Unternehmen einen extrem wichtigen Beitrag leisten, um Frauen auch nach der Familiengründung ans Unternehmen zu binden. Modelle und Technologien dafür seien bereits vorhanden. Was fehlt ist der kulturelle Ruck. „Wenn es uns gelingt Familienväter für Teilzeit zu gewinnen, könnten beide Eltern zu 80 Prozent arbeiten. Das wäre sowohl für Familien als auch für den Arbeitsmarkt ideal", meint die dreifache Mutter rund Personalexpertin.

FLEXIBILITÄT: OPEN YOUR MIND!

In der Pandemie ist es von einem auf den anderen Tag gelungen auf Smart Working umzustellen. Selbst Vorgesetzte, die dem Thema Homeoffice bis dahin kritisch gegenüberstanden, haben erkannt, dass Beschäftigte keineswegs weniger arbeiten, wenn sie von zu Hause ausarbeiten. Damit wurde der Weg für mehr Flexibilität bei Arbeitszeiten und Arbeitsorten geöffnet. Und damit ergeben sich auch neue Möglichkeiten, der Personalknappheit zu begegnen. „Wir beobachten, dass sich aktuell viele Angestellte selbstständig machen - auch mit der Bereitschaft in begrenztem Ausmaß weiterhin für ihr bisheriges Unternehmen zu arbeiten", sagt Ausserhofer. Vorgesetzte sollten das nicht als Vertrauensbruch sehen, sondern die flexible Zusammenarbeit bestmöglich nutzen.

WORK-LIFE-BALANCE: ARBEIT IST NICHT ALLES

Last, but not least: Es ist an der Zeit, das Thema Life-Balance oder Work-Life-Balance Ernsthaft anzugehen. Denn nicht nur junge Menschen sind durch die Erfahrungen während der Pandemie zur Einsicht gelangt, dass Arbeit nicht alles ist. Immer mehr Beschäftigte wollen den Rhythmus und die Art, wie sie ihre Arbeit erledigen, selbst bestimmen. Dieses wachsende Bedürfnis sollten Arbeitgeber ernst nehmen. Viele Betriebe sind bereits dabei, das richtige Gleichgewicht zwischen Präsenz und Remote Working zu finden. Und einzelne Betriebe setzen bereits auf die 4-Tage- Woche. Dass diese auch im Handwerk funktionieren kann, führt das Brunecker Unternehmen Raffin GmbH seit mehr als drei Jahren vor. Anfangs waren die Geschäftsleiter Markus Raffin und Christoph Gasser noch besorgt, wie sich das Wegfallen eines ganzen Arbeitstages auf die Geschäftsentwicklung auswirken wird. Drei Jahre später wissen sie: Der Umsatz ist gestiegen, die Mitarbeiterzahl konnte von zehn auf über 20 verdoppelt werden und die Produktivität hat spürbar angezogen. Ihr Team schafft es, die Arbeiten auf den Baustellen so effizient zu organisieren, dass der fünfte Tag der Woche tatsächlich frei bleibt. Wie es funktioniert? Mit einer Stunde mehr pro Tag, viel Eigenverantwortung und entsprechender Motivation.

DAS FAZIT

Die Veränderung auf dem Arbeitsmarkt lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Doch jedes Unternehmen kann einen eigenen Zugang finden, sich dieser Herausforderung zu stellen und mit ihr zu wachsen - mutig, kreativ, mit offenem Geist und wichtig: im Team.

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