Work smarter not harder

ARBEITSZEIT – 100 Prozent Produktivität, 100 Prozent Lohn, doch nur 80 Prozent der Arbeitsstunden: Das verspricht die 4-Tage-Woche. Die Umsetzung in die Praxis ist kein Ding der Unmöglichkeit. Eine Bedienungsanleitung.

Bruneck/Bozen – Die Diskussion über eine reduzierte Wochenarbeitszeit ist in vollem Gange. Angestoßen wurde sie durch zweierlei. Erstens durch die Erkenntnis der kommenden Auswirkungen der Automatisierung und des technologischen Wandels auf unser Arbeitsleben. Und zweitens durch den aufkeimenden Wunsch, weniger Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen.

Diese Entwicklung wird durch die aktuelle Ausnahmesituation befeuert, die immer mehr zum neuen Normal wird. Mitarbeiter:innen haben sich nach dem raschen Übergang ins Homeoffice und den Möglichkeiten des Smart-Working schnell mit der neuen Situation zu-rechtgefunden und die Zunahme der Freizeit, bedingt durch reduzierte Arbeitszeiten und den Ausfall von Fahr- und Gehwegen zum Arbeitsplatz, sehr begrüßt. Es wird immer deutlicher, dass nur wenige „freiwillig“ zu den Arbeits-bedingungen von vor der Pandemie zu-rückkehren wollen.

Menschen sind bei der Arbeit nur zwei bis drei Stunden am Tag produktiv, das zeigen mehrere Studien. Dort, wo die Arbeitszeit reduziert und Ar-beitsstrukturen reorganisiert werden, steigt die Produktivität. Es besteht also eine starke Korrelation zwischen kürzeren Arbeitszeiten und höherer Pro-duktivität, was bedeutet, dass mit steigender Produktivität die Arbeitszeit im Laufe der Zeit tendenziell abnimmt.

Immer mehr Länder starten angesichts dieser Erkenntnisse eigene Feldversuche. Island etwa hat kürzlich sein prominentes Pilotprojekt sehr erfolgreich abgeschlossen und in Spanien unterstützt die Regierung seit Herbst 2021 das 4-Tage-Projekt. Etwa 6.000 Mitarbeiter:innen aus 200 hauptsächlich mittleren und kleineren Unternehmen arbeiten dort einen Tag pro Woche weniger und sollen dabei ihr volles Gehalt bekommen. Man kann gespannt auf die Ergebnisse dieses zukunftsweisenden Projektes sein.

Vorteil im Kampf um die besten Fachkräfte

Auch die Ergebnisse der Piloten, die in anderen Ländern und verschiedenen Unternehmen gestartet wurden, bestätigen vorhergehende Studien und ergeben immer wieder dasselbe klare Bild: Die Produktivität und die erbrachte Leistung blieben gleich oder verbesserten sich sogar bei den meisten Unternehmen. (siehe dazu unter anderem den Studienbericht Going Public: Iceland’s journey to a shorter working week von Guomundur D. Haraldsson und Jack Kellam). Hier ein paar Fakten aus dem Testlauf in Island:

  1. Leistung und Produktivität blieben gleich und verbesserten sich vereinzelt sogar. Hierfür wurde vorab insbesondere an den Ablauforganisationen gearbeitet und die Prozesse der Unternehmen optimiert sowie modernisiert. Was wiederum zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen führt.
  2. Die Anzahl der Überstunden stieg, entgegen den Befürchtungen vieler Kritiker:innen, nicht an. Hierfür wurden Arbeitsprozesse, Kommunikationsstrukturen und Entscheidungsebenen überdacht und wiederum effizient gestaltet.
  3. Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmenden profitierte deutlich von den kürzeren Arbeitszeiten. Der Stresspegel der Menschen sinkt, wenn sie mehr Zeit haben, um sich zum einen von anstrengenden Arbeitsphasen zu erholen und um zum anderen ihr Privatleben zu organisieren. Depressionen und Burnout-Fälle sinken, was zu weniger Ausfällen in den Unternehmen selbst und zu signifikant sinkenden Kosten für das Gesundheitssystem führt.
  4. Die gewonnen Freizeit wurde sinnvoll genutzt, so wurden z.B. Arztbesuche am freien Tag eingeplant, Hobbies und Sport vermehr ausgeübt und es blieb mehr Zeit für die Familie. Was wiederum einen deutlichen Vorteil in Bezug auf Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bedeutet. Ergebnisse einer Befragung der britischen Henley Business School unter mehr als 2.000 britischen Erwerbstätigen und rund 500 Geschäftsführer:innen ergaben ein ähnliches Bild.
    Die 4-Tage-Woche ist außerdem ein interessantes Konzept, um sich am Arbeitsmarkt als attraktive:r Arbeitgeber:in zu positionieren – Stichwort Fachkräftemangel. Laut Society for Human Resource Management arbeiten 43 Prozent der Unternehmen in den USA auf die Philosophie der viertägigen Arbeitswoche hin und befinden diese für gut. Es liegt also nahe, als Unternehmen diese Chance für sich zu ergreifen, sich frühzeitig auf den Weg zu machen und sich entsprechend als attraktiver Arbeitgeber:in einen signifikanten Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Aber wie wird es konkret gemacht?

Die 4-Tage-Woche – Eine Bedienungsanleitung

  1. Die Umsetzung
    Die Einführung und Umsetzung der 4-Tage-Woche bedarf einer sorgfältigen Planung und sollte wohlüberlegt sein. Ein gute Absprache zwischen Arbeitgeber:innen und ihren Mitarbeiter:innen ist hierbei von zentraler Bedeutung, da es bei vielen Aspekten und Fragen keine gesetzlichen Regelungen und pauschalen Lösungen gibt. Fragen zur Verteilung der Arbeits- bzw. Nicht-Arbeitszeit, zur Handhabe von Kernzeiten oder Urlaub etc. sind zu vertiefen und zu lösen.
    Erfolgreiche Arbeitszeitverkürzungen sind eng mit Veränderungen in der Arbeitsorganisation verbunden. Das Einbinden der Mitarbeiter:innen bei der Umsetzung, arbeitsrechtliche Aspekte und die Durchführung eines Testversuchs sind hierbei zentral.
    Der Schlüssel zum Erreichen kürzerer Arbeitszeiten ist Flexibilität in der Art und Weise, wie Aufgaben erledigt werden, wie Arbeitszeiten und Schichten gestaltet werden, kombiniert mit der Optimierung von Prozessen und Arbeitsabläufen und einem ausgereiften Verständnis von Führung, sprich der Übertragung von Verantwortung, Vertrauen und der Förderung von Eigeninitiative. Im Besonderen sind zu beachten:

  2. - Realistische und sinnvolle Prioritätensetzung bei den täglichen Aufgaben
    - Identifikation und Eliminierung von unproduktiven Tätigkeiten
    - Geschulte Führungskräfte: Effektives Delegieren und Übertragung von klaren Aufgaben und Verantwortungen.
    Förderung von Eigeninitiative. Entsprechend Weiterentwicklung der persönlichen und fachlichen Kompetenzen der Mitarbeiter:innen
    - Erledigung persönlicher Besorgungen sowie nicht dringender Arztbesuche außerhalb der Arbeitszeit bzw. am freien Tag
    - Meeting-Kultur: Weniger, kürzer, konzentrierter. Striktes Zeit-Management, klare Agenda und Zuteilung der Arbeitspakete
    - Ersetzen von Besprechungen durch E-Mails oder Unternehmens-Chat wie z.B. Teams, wo dies möglich ist
    - „Konzentrierte Arbeitszeiten“: Arbeitszeiten einlegen, während welcher man nicht gestört werden darf. Grundsätzlich das Arbeiten auf Zuruf vermeiden, sprich Themen werden in morgendlichen Stand-up-Meetings besprochen, das ständige unkoordinierte Stören durch Anrufe und Fragen zwischendurch soll entsprechend vermieden werden.
    - Entfernung unnötiger Aufgaben von der To-do-Liste
    - Reduzierung der Zeit für Kaffeepausen
    - Verlagerung von Dienstleistungen auf digitale Angebote, wenn möglich
    - Einführung von schlanken Managementprozessen
    Dabei sind insbesondere folgende Herausforderungen zu berücksichtigen und entsprechend nicht aus den Augen zu verlieren:
    - Aufmerksames Monitoring der Überstunden und punktuelle Intervention bei Bedarf
    - Entwicklung von Lösungsprozessen für unvorhergesehene Abwesenheiten von Teammitgliedern, sodass eine notwendige Arbeitsumverteilung gut organisiert werden kann
    - Berücksichtigung von Richtlinien und Arbeitsrechtsgesetzen
    - Angst und Druck gegensteuern
    - Bewusstsein schaffen, dass man ab einem bestimmten Punkt nicht effizienter werden kann, ohne dabei Dinge aufgeben bzw. reduzieren zu müssen, z.B. soziale Kontakte

  3. Prozess
    2.1. Ausgangssituation analysieren: Auftaktgespräche führen, neue Arbeitszeitmodelle ausgiebig im Führungsteam besprechen, IST-Situation erfassen, Vorgehensweise definieren. Prozesse und Arbeitsabläufe analysieren, IST-SOLL Situation ausarbeiten
    2.2. Lösungsansätze erarbeiten: Planungsgruppe einrichten, IST-SOLL-Analyse durchführen, Ent-wicklung von Arbeitszeitmodel-len bzw. Alternativen diskutieren, realistischer Personalbedarf mit den neuen Zeiten kalkulie-ren, inhaltliche und organisatorische Fragen klären. Kennzah-len zur Erfolgskontrolle festlegen. Optimierung von Prozessen und Arbeitsabläufen starten
    2.3. Ergebnisse auswerten und Umsetzungsschritte planen: Analysephase abschließen, Definition Arbeitszeitmodell, Zeitrahmen zur Umsetzung und Auswahl der Testabteilung/Pilotbereiche.
    2.4. Detailplanung durchführen: Informationen sammeln, mögliche rechtliche Fallstricke vor-ab aus dem Weg räumen - The-ma Teilzeit, Thema Homeoffice.
    2.5. Pflichtenheft erstellen: Gesundheitliche, soziale und betriebswirtschaftliche Anforderungen festhalten (gesetzliche Regelungen, notwendige Qualifizierungs-maßnahmen oder Bedarfe der Mitarbeiter:innen).
    2.6. Arbeitszeitmodell vorstellen: Die Mitarbeiter:innen in den Prozess einbinden, das neue Arbeitsmodell vorstellen, offenen Fragen beantworten sowie Ängste nehmen und Unterstützung zusichern.
    2.7. Testphase: Arbeitsmodell/Maß-nahmen in Pilotbereichen erproben und umsetzen. Arbeitszeiten werden zunächst in einigen Abteilungen oder zeitlich befristet eingeführt.
    2.8. Erfolgskontrolle durchführen: Evaluationsphase - Testphase be-werten, Erfassung Herausforderungen und Sammlung Feedback, Stimmungsbarometer durchführen und gegebenenfalls Maßnahmen einleiten.
    2.9.Entscheidung treffen: Arbeitszeitmodell bewerten, Kennzahlen auswerten und interpretieren, Bilanz ziehen.
    2.10. Verbesserungen entwickeln: Lösungen erarbeiten, Führungskräfte auf künftige organisatorische Aufgaben vorbereiten und Qualifizierungsmaßnahmen anbieten.
    2.11. Erprobte Maßnahmen in andere Bereiche ausrollen: Umsetzung starten, Erfahrungen kommunizieren.
    2.12. Monitoring und kontinuierlicher Verbesserungsprozesseinführen.

Jedes Unternehmen ist anders und jeder Unternehmensbereich hat seine ganz besonderen Herausforderungen. Die 4-Tage-Woche ist sicher nicht für alle Unternehmen und jede:n Mitarbeiter:in das perfekte Modell. Es ist jedoch eine große Chance, die wir heute haben, unsere Organisationen und unsere Gesellschaft an den Bedürfnissen von morgen auszurichten.